Theatergespräche - Bernd Berleb
Im Interview blickt er nun auf seine Zeit am Theater Ansbach zurück und gibt Einblicke, wie die Coronakrise Künstler*innen trifft.
Du bist zur Spielzeit 2019/2020 an das Theater Ansbach gewechselt. Wie kam es dazu?
Über einen ganz angenehmen Kontakt zu den Verantwortlichen. Die Intendantin Frau Dr. Schulz sieht sich sehr viele Inszenierungen in der Umgebung an, unter anderem „The King´s Speech“ am Landestheater Dinkelsbühl. Danach kamen wir ins Gespräch, da ihr das Stück sehr gefallen hat. Im Gegenzug habe ich mir eine der Ansbacher Inszenierungen angesehen und im Anschluss auch das Ensemble kennengelernt. Dann habe ich gehört, dass Andreas C. Meyer das Theater Ansbach verlässt und habe mich auf die freie Ensembleposition beworben. Nach dem Vorstellungsgespräch kam es dann zur Zusammenarbeit.
Du bist in ein Ensemble gekommen, das schon länger zusammengespielt hat. Wie wurdest du aufgenommen?
Ich wurde – gerade von den älteren Ensemblemitgliedern – mit offenen Armen aufgenommen. Natürlich gab es ein kleines Stimmungsgefälle, weil allen klar wurde, dass es das letzte Jahr werden würde. Dennoch wurde ich sehr nett und offen aufgenommen und habe mich sofort wohlgefühlt. Ich kam mit „Amadeus“ gleich in eine große Produktion, bei der das gesamte Ensemble dabei war, was schön war, um anzukommen. Hätte ich zuerst nur für „Judas“ geprobt, wäre es komisch gewesen, alleine zu proben und niemanden kennenzulernen. So war es ein schöner Einstieg für mich.
Du wurdest bei der Vorstellung zur neuen Spielzeit letztes Jahr von der Intendantin Dr. Schulz mit großen Vorschusslorbeeren bedacht – hattest du dadurch eine höhere Erwartungshaltung für deinen Einstand am Theater Ansbach?
Natürlich hat man Druck. Den habe ich aber eigentlich immer, denn ich versuche bei jeder Inszenierung das Beste zu geben. Die große Wertschätzung durch Frau Dr. Schulz macht es jedoch leichter, freier aufzuspielen. Man muss niemanden überzeugen, um überhaupt besetzt zu werden. Aus diesem Grund war es schön, von Frau Dr. Schulz so vorgestellt zu werden.
Du warst vor dieser Spielzeit in Ansbach einige Jahre am Landestheater in Dinkelsbühl – wie unterscheidet sich das Ansbacher Publikum vom Dinkelsbühler?
Das ist schwierig zu beantworten, da das Angebot der Theater so unterschiedlich ist. Ich glaube nicht, dass sich das Publikum wirklich unterscheidet, die Akzeptanz hingegen schon. In Dinkelsbühl wird das Theater von den Bürgerinnen und Bürgern „getragen“ und anerkannt – das ist in Ansbach überhaupt nicht so. Dadurch, dass Ansbach eine größere und anonymere Stadt mit vielen Kulturangeboten ist, hat das Theater nicht den gleichen Stellenwert. Das zeigen leider auch die Zuschauerzahlen.
Deine größte Rolle in Ansbach war Judas im gleichnamigen Monolog in der Kapelle der Augustana Hochschule in Neuendettelsau. Das Stück lebt von der direkten Interaktion mit dem Publikum, wie waren für dich die Reaktionen in dem sehr kleinen Rahmen?
Tatsächlich
hatte ich etwas Angst vor der Nähe zu Publikum, da ich so etwas noch nie zuvor
gemacht habe. Aber da der Publikumskontakt inszeniert ist und sich nicht
einfach so ergibt, war es wirklich passend und durch die Reaktionen hat sich
das Stück jeden Abend ein bisschen anders entwickelt. Man nimmt auf, wenn
jemand mit verschränkten Armen oder total gespannt im Publikum sitzt. Das
ergibt jeden Abend neue und spannende Impulse.
Damit konnte ich überraschend gut umgehen.
Wie hast du dich vorher mit der Geschichte von Judas auseinandergesetzt und hat das Stück deine Sicht auf die biblische Erzählung geändert?
Ich habe
natürlich versucht, mich mit Literatur über Judas vorzubereiten. Versucht, da
es tatsächlich relativ wenig Literatur, die man als Laie findet, über ihn gibt.
Judas ist eine sehr schwammige Figur, über die wenig bekannt ist. Trotzdem habe
ich von Anfang an nicht als religiöse Figur gesehen, mich hat immer mehr das
Menschliche an ihm interessiert. Aus den Literaturfragmenten und Filmen, die
ich gefunden habe, habe ich eine Geschichte gebaut und versucht, diese Rolle zu
etwas sehr Persönlichem zu machen. In „Judas“ steckt sehr viel von mir selbst
und ich habe diese Figur sehr nah an mich herangezogen.
Viele Theologen haben sich unsere Inszenierung angesehen und Anstöße zu Judas
bekommen, die ihnen gar nicht bewusst waren. Das hat mich wirklich überrascht.
Auch der Theatergottesdienst in Kooperation mit der Augustana Hochschule war
eine spannende Erfahrung. Dort wurde mir durch die Predigten des Pfarrers zum
ersten Mal richtig bewusst, was Judas eigentlich für eine Hassfigur in der
Religion darstellt.
Im Anschluss konnte ich diese Aspekte mit in die auf den Gottesdienst folgende
Nachmittagsvorstellung nehmen und zum Beispiel Judas´ Auflehnen stärker in den
Vordergrund stellen.
Der Spielplan in Ansbach ist breit gefächert. Neben hochwertigem Musiktheater wie „Amadeus“ und Klassikern wie „Die Physiker“ stehen auch kleine, atmosphärische Stücke wie „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ im Theater hinterm Eisernen auf dem Spielplan. Wie ist es, wenn man so viele verschiedene Facetten zeigen kann – ist es Bereicherung oder Herausforderung?
Natürlich ist es eine Bereicherung, eben weil ich das Glück hatte, ein so breites Spektrum zu zeigen. Gerade bei „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ mit acht verschiedenen Rollen war es wirklich spannend, für jeden Charakter auf eine andere Energie umzuschalten. Ich hatte zwar erst Bedenken, da wir die Besetzung zu Beginn ohne Rollen bekommen haben und noch nicht klar war, wie das Stück umgesetzt wird. Dann wurde klar, dass Sophie Weikert Smilla spielen wird und ich alle restlichen Rollen übernehme, auch den achtjährigen Jungen Jesaja. Es hat großen Spaß gemacht, das Kind in sich wieder hervorzuholen.
Eines der letzten Stücke vor dem unfreiwilligen Ende der Spielzeit war die Wiederaufnahme von „Nathan der Weise“ – wie war es für dich, in eine fertige Inszenierung hereinzukommen?
Ich hatte
mir „Nathan der Weise“ letztes Jahr extra angesehen, weil ich damals schon
wusste, dass ich die Rollen des Derwisches und des Patriarchen übernehmen soll.
Mir hat die Inszenierung sehr gut gefallen, darum war ich froh, dass wir
wenigstens dieses Stück noch spielen konnten.
Nach meinem Besuch habe ich mich dann vorbereitet und begonnen, den Text zu
lernen. Das fiel mir bei „Nathan der Weise“ schwer, denn man muss genau
arbeiten und kann sich den Text nicht „mundgerecht“ zurechtlegen, da er sonst
keinen Sinn mehr ergibt.
Zum Glück musste ich nicht das nachmachen, was Andreas C. Meyer vorgemacht hat,
sondern konnte meine eigene Interpretation der Rollen finden. Frau Dr. Schulz war
sehr offen dafür und dadurch, dass die beiden Figuren nun so anders waren,
haben sich neue Impulse und Energien für die gesamte Inszenierung ergeben. Auch
die Kolleginnen und Kollegen waren sehr offen und hilfreich. Trotz der kurzen
Probenzeit hat es großen Spaß gemacht.
Was bleibt dir von deiner Zeit am Theater Ansbach am meisten in Erinnerung?
Am meisten
natürlich „Judas“, da es eine sehr intensive Zeit war und Monologe eine große
Herausforderung sind.
Eigentlich bleiben mir aber alle Stücke in Erinnerung, eben weil sie so
unterschiedlich waren und ich jedes auf seine Weise sehr gerne gespielt habe. Bei
„Amadeus“ zum Beispiel fand ich das Optische und die Lichter sehr stimmig, bei
„Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ den neuen Ansatz mit der Livekamera.
„Der zerbrochene Krug“ im nüchternen, an Bürokratie nicht zu überbietenden
Gerichtssaal im Ansbacher Landgericht wäre sehr interessant gewesen, das
gleiche gilt für „Minna von Barnhelm“ im Großen Haus. Beides kam leider nicht
mehr zustande, was wirklich schade ist.
In den letzten Wochen und Monaten kamen die Kulturschaffenden durch Schließungen in prekäre Lagen. Wie hast du am Theater Ansbach die „Corona-Zeit“ erlebt?
Erst dachte
man, wir müssten zwei Wochen schließen und dürfen dann wieder weitermachen. Diese
Pause war zwar schade, aber ich konnte sie nutzen, um mich auf meine Rolle als
Tellheim in „Minna von Barnhelm“ vorzubereiten.
Nach der ersten Verlängerung der Schließung wurde dann die reguläre
Weiterführung der Spielzeit immer unwahrscheinlicher. Dadurch wurde es natürlich
schwieriger, sich zum Text lernen zu motivieren. Wir hingen alle etwas in der
Luft, da man sich – es war ja kein Urlaub – nicht entspannen kann, aber auch
nicht weiß, wie es weitergeht. Diese Ungewissheit fand ich sehr unangenehm, da
mir die Kollegen und das Miteinander gefehlt haben.
Einige Caster haben zwar zur Information der Künstlerinnen und Künstler
Zoommeetings angeboten, aber da man dort sieht, wie viele Schauspieler*innen
gerade in der Luft hängen, fand ich das eher frustrierend. Immer mehr
Kolleg*innen kommen in massive finanzielle Probleme, da die von Herrn Söder
angekündigten Soforthilfen noch nicht bei den Künstler*innen angekommen sind.
Aus diesem Grund waren die vergangenen Wochen ein mentales Auf und Ab. Als nun
vor einigen Tagen die Nachricht kam, dass die Spielzeit vorzeitig beendet wird,
war ich natürlich sehr traurig, aber es ist immerhin eine Entscheidung, mit der
man nun planen kann oder eben nicht. Damit kann ich einfacher umgehen als mit
der Ungewissheit. Dennoch ist es einfach schade, da wir im Ensemble nicht
wissen, ob und in welcher Konstellation wir uns noch einmal wiedersehen und
verabschieden können.
In der Gastronomie, im Einzelhandel und im Tourismus werden langsame Lockerungen durchgesetzt – nur die Kultureinrichtungen müssen weiter darauf warten, wieder öffnen zu dürfen. Wie siehst du als Betroffener die aktuelle Lage? Kommt die Politik der Kultur entgegen?
Momentan
fällt die Kultur völlig unter den Tisch. Keiner macht sich Gedanken, wie es
weitergehen soll, es gibt keinen Fahrplan zur Wiedereröffnung der
Kultureinrichtungen und die versprochenen Soforthilfen kommen auch nicht an.
Das wird alle Beschäftigten in der Kulturszene hart treffen, denn momentan weiß
kein Theater, wie es für die kommende Spielzeit planen soll und engagiert
dementsprechend auch noch niemanden. Ich hoffe, dass sich da noch etwas tut,
aber momentan sieht es ziemlich düster aus.
Eine
Münchner Kollegin, die als freischaffende Schauspielerin arbeitet, hat einen
offenen Brief an Markus Söder geschrieben. Normalerweise hat sie viele
Engagements, aber weiß inzwischen nicht mehr, wie sie ihre Familie mit zwei
Kindern über Wasser halten soll. Außerdem habe ich vor einigen Tagen einen Kommentar auf Facebook gelesen, dass
wir uns nicht so aufregen sollen, denn zwei, drei Monate könne ja jeder mal
ohne Einkommen überdauern. Das hat mich wirklich geärgert, denn unsere Gehälter
liegen deutlich unter dem Durchschnittseinkommen. Man kommt zwar über die
Runden, aber große Rücklagen kann man nicht bilden.
Ich hoffe,
dass ein Umdenken einsetzt und die Branche eine größere Wertschätzung erfährt.
Man sollte Kultur nicht als selbstverständlich sehen, sie muss den Trägern und
dem Publikum auch etwas wert sein. Vielleicht merkt die Theaterlandschaft, dass
sie sich besser vernetzen muss, um in der Politik eine Stimme zu haben, die
gehört wird. Die Menschen begreifen bisher einfach nicht, was Kultur für eine
Plattform ist. Nach der Automobilindustrie und vor der chemischen Industrie ist
die Kultur der zweitgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland. Da sie allerdings
keine Lobby hat, vergisst man leicht, wie groß ihre Bedeutung für die Städte
ist. Die Theaterbesucher besuchen die lokale Gastronomie, nutzen öffentliche
Infrastruktur – die Kultur ist als Standortfaktor wichtiger als man denkt.
Wie geht es für dich nun weiter?
Momentan hänge ich völlig in der Luft, da kein Theater für den Herbst planen und Engagements vergeben kann. Mal schauen, irgendwie geht’s weiter.