Passionen #Welt - Kreuzgangspiele Feuchtwangen

Auch einige Monate nach Beginn der Coronapandemie ist keine Normalität eingekehrt. 
Trotz der Lockerungen vieler Einschränkungen ist bisher an einen normalen Theaterbetrieb nicht zu denken. Wie viele andere Freilichttheater mussten auch die Kreuzgangspiele Feuchtwangen ihr geplantes Programm für die Sommerfestspiele auf das kommende Jahr verschieben. Doch die Spielzeit komplett abzusagen und die Künstler*innen im Regen stehen zu lassen, kam für die Verantwortlichen nicht in Frage.

Intendant Johannes Kaetzler fährt für die diesjährigen Kreuzgangspiele ein ganz besonderes Programm auf: Bis Mitte August widmen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler unter dem Titel "Passionen" jede Woche einer neuen Novelle aus Giovanni Boccaccios "Il Decamerone", die Boccaccio im 14. Jahrhundert im Angesicht der in Europa grassierenden Pest schrieb. 

Foto: Kreuzgangspiele Feuchtwangen


Den Auftakt in diese denkwürdige Spielzeit macht das Thema "Welt". 
Den roten Faden des Abends bildet die Erzählung einer Gruppe von Frauen und Männern, die im Angesicht der in Florenz wütenden Pest ihre Stadt verlassen, um sich in die Sicherheit ihrer ländlichen Besitztümer zurückzuziehen. Auf ihrem Weg auf das Land stoßen sie auf einen riesigen leerstehenden Palast, der ihnen fortan Obdach und  Schutz vor der Seuche bieten soll. Um sich die Zeit zu vertreiben, wählen sie jeden Tag eine*n neue*n König*in, der die Geschichten, die erzählt werden sollen, bestimmen darf. 

Den Beginn macht die Erzählung von Ceparello (Joseph Reichelt), einem verruchten und schändlichem Bösewicht, der vor seinem Tod eine letzte List bereit hat: Am Sterbebett legt er eine mustergültige Beichte ab, welche den Mönch (Wolfgang Beigel), der ihm die Beichte abnimmt, davon überzeugt, Ceparello nach seinem Tod als heiligen zu verehren. 

Viele kennen die Ringparabel aus Lessings "Nathan der Weise", ihren Ursprung hat sie jedoch in Boccaccios Novellen, welche als zweite Erzählung in den Abend einfließt. Der Sultan Saladin (Achim Conrad) ist durch viele Kriege in Geldnot geraten. Um die Staatskasse wieder aufzufüllen, bittet er den reichen Juden Melchisedech zu sich, um diesem eine List zu stellen und ihn seines Vermögens zu berauben.
Welche Religion die wahre sei, wolle er wissen. Doch Melchisedech durchschaut die Falle des Sultans und vergleicht die drei Religionen mit einem Ring, von dem ein Vater drei exakte Kopien anfertigen lies, um sie seinen Söhnen zu vererben, da er unmöglich bestimmen konnte, wer ihm der liebste sei. Von Melchisedechs Weisheit berührt, gesteht Saladin ihm seine Probleme und die beiden bleiben bis an ihr Lebensende Freunde.

Geschickt in die Handlung eingewoben sind verschiedene Lieder, die sich dem Thema "Welt" widmen. "We are the world", gesungen vom kompletten Kreuzgangensemble, bildet einen bewegenden Auftakt in den einstündigen Abend, der sich musikalisch an der Popmusik der letzten Jahre orientiert. "City of Stars" (Pascal Pawlowski und Rebekka Michalek), John Lennons "Imagine" (Sabine Sachse) oder auch Kurt Weils "Lonely House" (Achim Conrad) unterstreichen die Botschaft des Abends.
Mit "Eldorado" aus der Feder von Udo Lindenberg verabschieden sich Joseph Reichelt und das Ensemble eindrücklich und bewegend vom Publikum. 

Ein Bühnenbild braucht "Passionen" nicht, beinahe das komplette Ensemble der Kreuzgangspiele füllt den Platz vor und hinter dem Feuchtwanger Kreuzgang - mit Mindestabstand natürlich. Die Schauspielerinnen und Schauspieler geben den Erzählungen einen lebendigen Hintergrund, treten aber auch aus ihren Plätzen heraus, um in eine andere Rolle zu schlüpfen.  
18 Schauspielerinnen und Schauspieler bringen die "Passionen #1" auf die Bühne - Achim Conrad, Andreas Wobig, Antje Otterson, Chantale Schumacher, Doris Otto, Joseph Reichelt, Konstantin Krisch, Lea Aumann, Lennart Matthiesen, Lisa Ahorn, Mario Schnitzler, Meike Pintaske, Pascal Pawlowski, Rebekka Michalek, Sabine Sachse, Ulrich Westermann, Urs Schleiff und Wolfgang Beigel zeigen einmal mehr, dass Theater nicht von Bühnenbildern oder großen Inszenierungen lebt, sondern von einem starken Ensemble, das eine ganz eigene Atmosphäre  schafft.

Johannes Kaetzler ist mit seinem "Passionen"-Projekt ein Wagnis eingegangen. Klassisches Theater mit neuen Spielformen und populären Songs zu verbinden, ist ein bei den Kreuzgangspielen noch nie dagewesenes Experiment - doch es funktioniert. 

In der Spielzeit 2020 geht es nicht darum, wer die besten Stücke oder Inszenierungsideen hat. Es geht darum, die Kultur und das Theater den Menschen in Erinnerung zu rufen. Die Künstlerinnen und Künstler in dieser schwierigen Situation nicht alleine zu lassen. Und vor allem geht es darum, den Menschen in dieser schwierigen Situation Hoffnung zu geben. Hoffnung auf die Wiederkehr der Normalität, Hoffnung auf bessere Zeiten. 
Mit "Passionen" beweisen die Kreuzgangspiele: Theater ist systemrelevant. Gerade jetzt.

"Passionen #1 - Welt" werden bis Mitte August weitere Themen folgen, unter anderem "Glück", "Wünsche" oder "Klugheit". Weitere Informationen zum Sonderprogramm 2020 der Kreuzgangspiele gibt es unter https://www.kreuzgangspiele.de/sonderspielplan-2020.html