Theatergespräche - Dr. Susanne Schulz
Seit Sommer 2015 leitet sie die Geschicke des Ansbacher Theaters - die Rede ist von Dr. Susanne Schulz, Intendantin am Theater Ansbach.
Neben ihrer Intendantentätigkeit führt sie auch Regie, in der Spielzeit 2019/20 inszeniert Susanne Schulz das Musikstück "Amadeus" von Peter Shaffer und Lessings Klassiker "Minna von Barnhelm" am Ansbacher Theater.
Foto: Luise Mortag |
Können
Sie zu Beginn einen Einblick in die tägliche Arbeit als Intendantin
geben?
Ich habe die
künstlerische und finanzielle Verantwortung für den Bereich
Theater. Ich kümmere mich also um die gesamte künstlerische,
finanzielle und organisatorische Leitung des Theaters und delegiere
die entsprechenden Detailaufgaben an die zuständigen Abteilungen.
Ich engagiere
ein Ensemble und plane in Zusammenarbeit mit der Dramaturgie den
Spielplan. Mit dem KBB erarbeite ich die Jahresplanung der Stücke
und Vorstellungen. Ich verpflichte Gastregisseur*innen,
Gastbühnenbildner*innen bzw. Gast-Schauspieler*innen und suche
Kooperationspartner. Zudem teile ich den Produktionen die
Ausstattungsetats zu, bespreche mit unseren Ausstatter*innen die
Konzepte und verhandle die Gagen. Mit der Technik wird für jedes
Stück das Konzept, die Planung und der Etat vorbesprochen. Das
Konzept der Vermarktung und Öffentlichkeitsarbeit ist ebenfalls ein
wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Ein weiterer Teil ist außerdem der
Besuch der Premieren, teilweise die Mitwirkung bei den
Theaterpredigten und bei Theatermenschen im Dialog. So halte ich auch
den Kontakt zum Publikum. Bei allen Aufgaben stehen mir, je nachdem,
worum es geht, das Künstlerische Betriebsbüro, die
Theaterpädagogik, die Presse- und Öffentlichkeitarbeit, bis vor
kurzem ein Marketingleiter, die Werkstätten und die Technik sowie
die Verwaltung zur Seite.
Normalerweise
bereitet man als Intendantin natürlich parallel zur laufenden Saison
auch die nächste Spielzeit vor, liest mögliche Stücke, erarbeitet
ein Motto und sucht künstlerische Gäste. Da nun meine letzte
Spielzeit hier am Theater Ansbach ansteht, trifft das nicht mehr zu.
Wie
sind Sie an die Ansbacher Situation herangegangen?
Für meine
Arbeit als Intendantin ist ein spezielles Konzept für ein bestimmtes
Theater und eine bestimmte Stadt essentiell.
Bevor ich
mich hier in Ansbach beworben habe, habe ich mir vier Tage Zeit
genommen, um die Stadt kennenzulernen. Aus den Inspirationsfeldern
der Stadt und mit Blick auf die bestehenden Kulturinstitutionen, die
Ansbach hat, habe ich damals ein Konzept für meine mögliche
Intendanz erarbeitet, mit dem mich der Vorstand einstimmig gewählt
hat. Dieses Konzept habe ich weitgehend gemeinsam mit den
Mitarbeiter*innen umgesetzt, trotz der engen finanziellen und
personellen Rahmenbedingungen des Ansbacher Theaters. Diese Defizite
haben wir durch Erfindungsreichtum und Enthusiasmus ausgeglichen. Wir
sind an verschiedenste Orte der Stadt gegangen, um die Zuschauer für
ungewöhnliches Theater und spannende Themen zu interessieren, die
sie im normalen Theater vielleicht gar nicht angeschaut hätten. Wir
haben große und kleine, klassische und moderne, lustige und
tragische Schauspiele, Opern, Operetten, gegeben. Wir haben fast über
unsere Kräfte hinaus ständig Kinder- und Jugendtheater produziert
und gespielt, darunter jedes Jahr ein großes Weihnachtsstück oder
ein langjähriges soziokulturelles Sprachförderprojekt für
Klassenzimmer, das Seinesgleichen sucht. Unser Konzept ist
schließlich aufgegangen und wir haben uns mit 20.537 Besuchern in
der vergangen Spielzeit um 16 % zum Vorjahr gesteigert und uns in die
Herzen der Besucher*innen gespielt. Ein solcher Kraftakt geht ein
paar Jahre sehr gut, besonders am Anfang eines Aufbaus. Dann sollte
aber der finanzielle Rahmen erweitert werden, um dem Erfolg eine
Chance zur weiteren Entwicklung zu geben. Dies ist leider in Ansbach
nicht geschehen. Um Klartext zu reden: Ich ging naiv davon aus, dass
die Stadt es mit dem „Theaterwunder von Ansbach“ wirklich ernst
meint und den Etat schrittweise erhöht, wenn sie sieht, wie
engagiert wir auf allen Ebenen – vor allem im künstlerischen und
sozialen Bereich - wirken. Das war leider ein Irrtum.
Mit unserer
kleinen Truppe von 30 Mitarbeiter*innen leisten wir hier ein volles
Stadttheaterprogramm, andere Stadttheater haben oft weniger
Veranstaltungen als wir, aber deutlich mehr Geld und Personal. Aus
diesem Grund würde ich mich überaus freuen, wenn weitere
Besucher*innen entdecken würden, dass sie in Ansbach großes Theater
bekommen und wir die Zuschauerzahlen in der letzten Spielzeit so
nochmals steigern können.
Dass das
Publikum unsere Arbeit schätzt, zeigt sich nicht nur in den
gestiegenen Zuschauerzahlen, sondern auch in persönlichen
Gesprächen, Leserbriefen und Gästebucheintragungen. Diese
Entwicklung freut mich sehr. Ich hoffe, dass wir mit „Amadeus“
weitere Zuschauer*innen in unser Haus locken, denn diese Art von
„Schauspiel-Musiktheater“, die unser Musikalischer Leiter Hartmut
Scheyhing und ich hier als gemeinsame Handschrift entwickelt haben,
wird so nicht mehr zu sehen sein. Auch das Ensemble wird in der
jetzigen Zusammenstellung nicht mehr existieren. Das ist aber bei
einem Leitungswechsel ein üblicher Vorgang.
Sie haben
ja bereits erwähnt, dass Sie momentan normalerweise damit
beschäftigt wären, Stücke für die neue Spielzeit zu sichten. Wie
suchen Sie die Stücke aus und wie kommt es dann zum Spielzeitmotto?
Für die
Auswahl der Stücke sind viele Faktoren wichtig: Was interessiert
uns? Was ist momentan von gesellschaftlicher Relevanz? Gibt es
aktuelle und interessante Themen in Ansbach? Welche Autoren
interessieren uns und welche Stücke passen zu unserem Spielplan?
Welche klassischen und zeitgenössischen Autoren gibt es?
Außerdem
muss man in die Planungen einbeziehen, was in einer Stadt gut läuft.
In Ansbach sind neben Komödien und Klassikern vor allem bekannte
Titel sehr beliebt. Hier laufen Stücke wie „Biedermann und die
Brandstifter“, „Nathan der Weise“ oder „Drei Haselnüsse für
Aschenbrödel“ hervorragend.
Ein weiterer
wichtiger Aspekt ist die Besetzung der Stücke. Acht
Schauspieler*innen sind für das klassische Repertoire eigentlich zu
wenig. Wir haben hier sehr viel Einfallsreichtum bewiesen. Durch
unsere Parallelbespielungen, zum Beispiel im Roten Kabinett oder im
Klassenzimmer, wählen wir bewusst Stücke mit kleiner Besetzung.
Zudem muss man den Einsatz der kleinen technischen Mannschaft und die
Verfügbarkeit des Großen Hauses beachten. Aus all diesen
Überlegungen, der inhaltlichen Ausrichtung des Mottos und noch
vielen weiteren Aspekten entsteht am Ende der Spielplan.
In unserer
ersten Spielzeit 2015/2016 hier am Theater Ansbach war das 100jährige
Gedenken an den Ersten Weltkrieg virulent, aus diesem Grund wählten
wir „Von Helden und Opfern“ als Spielzeitmotto.
Passend zum
Lutherjahr und unserem Lutherstück entschieden wir uns in der
darauffolgenden Spielzeit für „Gewissen“ und setzten verstärkt
Stücke, die dieses Thema behandeln, auf den Spielplan.
In unserem
dritten Jahr in Ansbach wählten wir „Ermutigung zum unzeitgemäßen
Leben“. Ich hatte mich zuvor mit dem Philosophen André
Comte-Sponville auseinandergesetzt, der in seinem Werk über Werte
und Tugenden geschrieben hat.
In der
vergangen Spielzeit wählten wir „Biedermänner und Brandstifter“,
weil Max Frischs Lehrstück ein zentraler Bestandteil unseres
Spielplans war.
Unser letztes
Spielzeit-Motto spiegelt den desaströsen Zustand unserer Erde.
Unsere Welt brennt politisch und physisch. Waldbrände und
Weltenbrände lassen uns kopfschüttelnd konstatieren: „Denn sie
wissen nicht, was sie tun.“
Im
Theater sieht das Publikum natürlich zuerst die Schauspieler*innen.
Wie stellen Sie das Ensemble zusammen?
Als ich nach
Ansbach kam, gab es Überlegungen, entweder sechs oder acht feste
Ensemblepositionen zu schaffen. Der Vorstand hat dann meinem
Vorschlag zugestimmt und acht Stellen im Ensemble akzeptiert, worüber
ich mich sehr gefreut habe, da mit sechs Schauspielerinnen und
Schauspielern die Art von Theater, die ich mache, nicht funktioniert
hätte, auch angesichts der großen Bühne.
Da es in der
traditionellen Literatur mehr Männer- als Frauenrollen gibt, musste
ich mehr Männer als Frauen engagieren, außerdem müssen alle
Altersgruppen ungefähr abgedeckt sein. Dann muss man sich überlegen,
welche personellen Kombinationen sich in Stücken ergeben können.
Das sind die Grundvoraussetzungen für die Auswahl. Zudem suchte ich
klassisch ausgebildete Künstler*innen mit hervorragendem
Schauspiel-Handwerk und musikalischen Fähigkeiten.
Zum
Vorsprechen bzw. Vorstellungsgespräch habe ich zu Beginn ungefähr
100 Menschen (Schauspieler*innen und auch Dramaturg*innen,
Assistent*innen und Theaterpädagog*innen) kennengelernt, das lief
parallel zu meiner Arbeit in Naumburg. Im Laufe der Jahre kamen
natürlich immer wieder Leute zum Vorsprechen und Gespräch.
Ich schaue
mir dabei allerdings bei Schauspieler*innen nicht nur Rollen an und
fertige sie „wie am Fließband“ ab, wie es oft üblich ist.
Vorsprechen sind bei mir etwas sehr Spezielles. Ich nehme mir jeweils
eine Stunde Zeit und arbeite mit Jedem*er an einer Rolle, außerdem
gehört Vorsingen und auch Vortanzen zum Casting. Dieser zeitliche
Aufwand war mir wichtig, um wirklich hohe künstlerische Qualität
und menschliche Integrität zu finden.
Bei den
Vorsprechen hatte ich wohl den richtigen Riecher, denn in der ersten
Probenwoche von „Elisabeth von England“ haben alle menschlich
sofort gut zusammengepasst. Diese Stimmung im Ensemble ist bis heute
geblieben. Wenn jemand mal einen schwächeren Tag hat, wird er vom
gesamten Ensemble unterstützt. Es herrscht immer eine freundliche,
angenehme, solidarische und vor allem produktive Atmosphäre im
Ensemble. In dieser Hinsicht hat sich der hohe Aufwand der langen
Vorsprechen mehr als gelohnt. Unsere Schauspielerinnen und
Schauspieler bringen jeden Tag – in den Proben und Vorstellungen –
hohe Qualität und Präsenz.
Das Ensemble bei Proben zu "Amadeus" // Foto: privat |
Die neue
Spielzeit 2019/2020 hat bereits begonnen, Sie inszenieren im Oktober
das Musikstück „Amadeus“ - können Sie schon verraten, worauf
sich das Publikum freuen darf?
„Amadeus“
bei uns am Theater Ansbach sollte man sich nicht so vorstellen wie
den Film.
Wir legen den
Fokus auf Antonio Salieri, den Erzähler der Geschichte. Die Figuren
kommen aus seinem Kopf und aus seiner Musik. Sie sind Geister,
Vorstellungen, Erinnerungen. Natürlich stehen sie als tatsächliche
Personen auf der Bühne, werden sich aber dauernd verändern. Neben
Joseph II. oder Katharina Cavalieri werden Sie zu helfenden Geistern.
Es wird viele Kostümwechsel und Ortswechsel geben und es wird viel
Bewegung auf der Bühne sein.
Hartmut
Scheyhing wird als Salieri Cembalo spielen und hat die musikalische
Bearbeitung und Einstudierung übernommen, es wird zudem ein
Akkordeon, Flöten, Klarinetten und ein Glockenspiel geben. Außerdem
werden unsere Schauspieler*innen Arien singen. Sie werden das
Ensemble noch einmal in seiner ganzen musikalischen und virtuosen
schauspielerischen Pracht erleben können.
Die Kostüme
werden an Barock und Rokoko angelehnt sein, purer Naturalismus ist in
dieser Ästhetik nicht interessant. Das Bühnenbild wird ein
abstrakter Raum werden, der an ein Kulissenlager erinnert.
„Minna
von Barnhelm“ wird als letzte Inszenierung dieser Spielzeit auch
Ihre letzte Inszenierung in Ansbach sein. Planen Sie für den „großen
Abschluss“ etwas Besonderes und können Sie schon verraten, auf was
das Publikum gespannt sein darf?
Da „Minna
von Barnhelm“ erst im Mai Premiere hat, ist das Konzept natürlich
noch nicht komplett fertig. Für das Bühnenbild habe ich mit Nicola
Minssen eine Künstlerin im Team, die zwar bereits an unserem Haus
gearbeitet hat, mit der ich bisher aber als Regisseurin noch keine
direkte Berührung hatte – die Zusammenarbeit lässt sich sehr gut
an und macht schon jetzt viel Spaß. Das Bühnenbild steht in unseren
Köpfen schon. Vielleicht wird es wieder klassische Musik geben,
allerdings ist ein modernerer Ansatz auch sehr reizvoll. Auf jeden
Fall werden wir zwei junge und dynamische Frauen und etwas
verknöchertere Männer erleben – so wie es Lessing auch
geschrieben hat.
„Minna von
Barnhelm“ ist eine Komödie und ein sehr fortschrittliches Stück
seiner Zeit. Lessing hat in seinen Stücken sehr oft starke,
progressive Frauen, die über Grenzen gehen müssen, erschaffen –
das interessiert mich sehr. Und er schreibt eine wunderbare Sprache.
In den
letzten Jahrzehnten ist „Minna von Barnhelm“ aus unerfindlichen
Gründen etwas aus der Mode geraten und wird nicht mehr so oft
gespielt. Ich finde, das Stück hat es verdient, wieder vermehrt
gespielt zu werden, und bin überzeugt, dass unser Publikum es mögen
wird. Eine Intendantin verabschiedet sich mit einem progressiven
Frauenstück – das passt doch irgendwie, oder?
Susanne Schulz mit Bühnenbildnerin Nicola Minssen // Foto: Privat |
Auf
welches Stück der Spielzeit 2019/2020 freuen Sie sich – außer
Ihren eigenen Inszenierungen – am meisten?
Ich freue
mich auf alles! Ich finde, wir haben dieses Jahr einen sehr
spannenden Spielplan. Gestartet sind wir mit „Der Partylöwe“ von
Lars Albaum, der als Drehbuchautor schon Episoden für „Stromberg“
und „Mord mit Aussicht“ geschrieben hat. Mit Gerhard Fehn hatten
wir einen ausgesprochenen Komödienregisseur – das war ein
großartiger Einstieg in die neue Spielzeit.
Im Oktober
hat dann „Amadeus“ Premiere. Parallel dazu zeigen wir im November
den Monolog „Judas“ mit Bernd Berleb. Darauf freue ich mich sehr,
da wir für dieses Stück mit der theologischen Hochschule in
Neuendettelsau einen Kooperationspartner gefunden haben, der schon
von Anfang an mit an Bord war. Wir spielen das Stück dort in der
Kapelle der Augustana Hochschule. Leider können wir keine
Busshuttles organisieren, die Zuschauer müssen ihre Anfahrt selbst
planen. Ende November startet dann unser Weihnachtsmärchen „Der
Zauberer von Oz“. Cécile Kott, die letztes Jahr schon „Drei
Haselnüsse für Aschenbrödel“ großartig inszeniert hat, führt
auch dieses Jahr wieder Regie.
Im Januar
zeigen wir im Theater hinterm Eisernen „Fräulein Smillas Gespür
für Schnee“ in einer Fassung für zwei Schauspieler, inszeniert
von Annekatrin Schuch-Greiff. Das wird sehr spannend, da wir mit
Peter Hoegs Roman eine tolle Vorlage haben, die wir aber in einer
ganz anderen Form darbieten werden.
Mitte Februar
hat dann „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt Premiere. Louis
Villinger, der in der Spielzeit 2018/19 „Biedermann und die
Brandstifter“ so modern-ungewöhnlich inszeniert hat, wird bei
diesem großartigen Stück die Regie innehaben.
Ende März
folgt dann ein großer Hit: Wir werden in den Räumen des
Landgerichts Ansbach „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von
Kleist zeigen. Das Stück passt wie die „Faust aufs Auge“ in
diese Räumlichkeiten.
Als Abschluss
der Spielzeit kommt dann „Minna von Barnhelm“ im Großen Haus.
Wir haben mit
der Augustana Hochschule und dem Landgericht Ansbach in diesem Jahr
wieder zwei Kooperationspartner ins Boot geholt und zeigen nun, was
wir hier in fünf Jahre lang aufgebaut haben, nochmals im Kern:
Musikalisches Schauspiel, innovative Spielstätten, moderne und
historische Stücke, Komödien und vieles mehr!