[Interview] Achim Conrad

Achim Conrad ist Schauspieler, Regisseur und Produzent mit seinem eigenen Label movingtheatre.de. Auch in Feuchtwangen ist er kein Unbekannter: Nach seinen Regien 2010 und 2013 stand er 2015 als "Brandner Kaspar" erstmals auf der Kreuzgangbühne. 2016 brillierte er als Lenz im gleichnamigen Stück im Feuchtwanger Nixelgarten.
2017 spielt er Papst Leo X. in der Uraufführung "Luther" und Fred Graham im Musical "Kiss Me, Kate".



Du warst ja als Jugendlicher bei den Regensburger Domspatzen. War dir da schon klar, dass du beruflich in die Richtung Theater, Kunst, Gesang gehen willst oder hattest du dann trotzdem noch Alternativen, wo du gesagt hast: „Das könnte ich mir auch vorstellen.“?

Ich wollte lange Zeit Lehrer werden, dann wollte ich Erzieher werden. Ich hatte immer irgendwie gedacht, ich kann da was weitergeben, ganz komisch. Und dann hat aber dieses Leben auf der Bühne halt schon mit 10 angefangen und ich habe große Konzertreisen bis nach Amerika mit den Domspatzen gemacht, hab da auch zwei Instrumente gelernt und war von ziemlich früh an gewohnt, auch vorzuspielen. Nicht Theater, aber Musik und irgendwann, da war ich schon ein bisschen älter, so 15, 16, 17, dachte ich, ich werde Pianist und hab dann auch Abitur mit Klavier gemacht. Bei uns im Internat gab´s auch keine Theatergruppe oder sowas, weil wir schon jeden Tag drei Stunden gesungen haben.
Ich hab aber mein erstes Theatererlebnis mit 13 gehabt, da durfte ich mit einem Freund, dessen Eltern ein Abonnement im Stadttheater in Regensburg hatten und nicht gehen konnten, in „Cosi fan tutte“ gehen. Als doch noch kleiner Junge irgendwie, saß ich dann da mit Anzug in der Oper und da hat´s mich zum ersten Mal irgendwie erwischt.
Dann hab ich mir mit 17 ein Abo geholt und war von da ab eigentlich ähnlich wie du jede Woche einmal im Theater, wenn sich die Möglichkeit bot. Dann haben wir mit Schulkameraden im Internat gesagt „Das geht doch gar nicht, dass wir hier nicht auch Theater machen.“ und dann haben wir eine Theatergruppe gegründet. 
Ich habe Regie geführt und als es zum Abitur hinging und ich gemerkt habe, dass das mit dem Klavier geht, aber ich niemals ein Solist werden würde oder am Tag 8 Stunden allein vor dem Kasten sitzen müsste, da war mir klar, dass das nicht das richtige ist. Lehrer und Erzieher waren da schon nicht mehr so cool, und dann hab ich gedacht, ich werde Schauspieler. Da war dann auch nochmal die Frage:  Eher Gesang oder Sprechtheater. Dann habe ich einfach die Aufnahmeprüfungen gemacht, dann ging´s Schritt für Schritt. 


Welche Stücke oder auch welche Rollen sind dir in jetzt über 30 Jahren im Theater besonders in Erinnerung geblieben, egal ob positiv oder negativ?

Ich habe ja dann im Konservatorium in Wien studiert und dort eigentlich eine  Allround-Schnellausbildung innerhalb von 2 Jahren gemacht. Ein bisschen Schauspiel, ein bisschen den Gesang weiterbringen, ein bisschen Tanz.
So ein bisschen von allem, aber das war keine wirkliche Musicalausbildung, sondern auch ein bisschen Operette. Da war mir dann schon ziemlich schnell klar: Auch mit dem Singen geht das bis zu einem gewissen Punkt, aber ich bin nicht so der Über oder Für mich alleine und wusste: „Nee, das ist schon das Schauspiel.“ 
Und hab mich dann beworben, weil ich auch dachte, länger als zwei Jahre muss ich nicht studieren, man lernt eh im Theater das meiste und hatte dann Glück und hab da am Volkstheater mein erstes Engagement gekriegt. Das ist schon mit das größte Erlebnis gewesen, dass ich da mit einer besseren Statistenrolle, ich glaube zwei Sätze hatte ich da, in „Die Jungfrau von Orleans“, mitgespielt habe, bei neuer Intendanz, die Eröffnungsinszenierung. Da hat sich dann in den Proben herauskristallisiert, dass es zwischen dem, der den König spielte, und dem Regisseur nicht passt  und dann hat dieser Regisseur gesagt „Eigentlich will ich da eh einen ganz jungen, ganz unverbrauchten Schauspieler.“ Ich habe den vorgesprochen, dann hab ich diese Rolle bekommen. Und habe für meine erste Rolle nach zwei Jahren die Schule mehr oder weniger abgebrochen und habe dann da den König in der Eröffnungsinszenierung gespielt. Die ganze Welt war da, Presse und so, das war mein erstes großes Theatererlebnis und das war schon eins von den ganz prägenden. 
Dann habe ich diese ganze Stadttheater-Tour gemacht, bin dann auch aus Wien weg, weil ich dachte, ich kann hier nicht wirklich auf Dauer so mit ein, zwei Rollen im Jahr auskommen. Das geht nicht, ich muss erst mal viel spielen und mich da ausprobieren, bin dann in die deutsche Provinz gegangen und hatte insgesamt fünf feste Stadttheater-Engagements. Da hab ich am Anfang immer versucht, ein bisschen zu verstecken, dass ich doch auch ein bisschen singen kann, weil man da halt einfach schnell natürlich auch in die Musicalecke gesteckt wird, gerade zu der Zeit. Ende der 80er, Anfang der 90er, war der Musicalboom auch in den Stadttheatern, und da wollte ich nicht gleich landen, sondern erst mal große, tolle Schauspielrollen spielen.
Während meinem ersten festen, längeren Engagement in Coburg habe ich in der ersten Spielzeit neun und zweiten Spielzeit elf Rollen gespielt, also wahnsinnig viel. Da hab ich einfach schöne Sachen gespielt, den Mozart in „Amadeus“ von Peter Shaffer, Hitler in „Mein Kampf“, Romeo... 
In der letzten Spielzeit hab ich dann doch ausgepackt, so ein Musical würde ich dann doch schon gerne mal machen, einfach auch, um wieder so ein bisschen ins Singtraining zu kommen und da hab ich dann den Frank´n´Furter in der Rocky Horror Show gespielt, war ein ziemlich junger mit 24, 25. Das war damals noch fast ein kleiner Skandal in dieser kleinen Stadt und die Leute waren aus dem Häuschen. Nach neun Vorstellungen war da ein Verwaltungsdirektor, dem das zu freizügig war mit den Strapsen und so, das war dem alles nicht so geheuer. Doch die Leute haben da wirklich auf den Rängen getanzt. Das war ein altes Theater und dann kam irgendwann die Nachricht, die Ränge seien einsturzgefährdet, das Stück muss abgesetzt werden oder man kriegt das Publikum in die Reihe. So. Das wollte aber auch niemand, jetzt dem Publikum zu sagen, ihr dürft euch nicht bewegen. Und dann waren aber alle, inklusive Intendant, auch ein bisschen wütend. Daraufhin wurde ein Jahr später eine Open-Air Veranstaltung von Rocky Horror organisiert, da waren dann 12.000 Leute. Und da stand ich da zum ersten Mal in meinem Leben vor 12.000 Leuten in so einer Rolle auf Stöckelschuhen. Das war auch ein ganz prägendes Erlebnis, Frank´n´Furter. 
Ich war dann in Innsbruck, das war die übernächste Station. Das war auch eine wichtige Zeit, weil ich da so ein bisschen einen Fachwechsel gemacht habe. Ich bin von den ganz jungen Rollen weggekommen und habe zum Beispiel auch den Cliff in „Cabaret“ gespielt, was ja eigentlich eher eine Schauspielrolle ist in dem Musical. Dann habe ich eher unbekannte Rollen gespielt, das erzählt jetzt niemandem so viel, aber da waren spannende Sachen dabei.
Dann bin ich nach Dortmund gegangen, das war das spannendste  von den festen Engagement, da hab ich dann ganz viel gespielt. Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“ und „Blunt oder Der Gast“, viele Uraufführungen, viele neue, ganz spannende Stücke
Danach bin ich nach Mainz gegangen, da hab ich zum ersten Mal Tschechow 
gespielt, Trigorin in „Die Möwe“, das war auch etwas ganz spannendes, wichtiges. 
Jesus hab ich gemacht in „Jesus Christ Superstar“, das war vor allen Dingen eine große Herausforderung zu singen.
Das war alles aus den festen Engagements, das, was ich mir nicht selber ausgesucht habe.

2001 habe ich mich dann selbstständig gemacht und auch mein eigenes Label in Köln gegründet. Da hab ich dann doch viele Sachen gemacht, die ich mir auch selber ausgesucht habe, zum Beispiel den Monolog „Du bist meine Mutter“. Das ist ein Stück zum Thema Alzheimer, wo ein Sohn seine Mutter im Pflegeheim besucht und sich dann auch in sie verwandelt, damit habe ich jetzt dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum. Das ist eigentlich mein Hauptsteckenpferd, das Stück, das ich am längsten gespielt habe, wo man mich nachts aufwecken kann und ich kann´s ,glaub ich, spielen. Ich hab´s zwar noch nicht ausprobiert, aber ich glaube, das geht. Das ist einfach ein ganz, ganz tolles Stück und eine große Herausforderung zu spielen.
Dann hab ich auch viel gastiert, habe zum Beispiel Newton, einen von den Physikern in Dürrenmatts „Die Physiker“, gespielt, und bin dort in Wuppertal zum ersten Mal Johannes Kaetzler begegnet.
Dann hab ich doch öfter mal im Musical gastiert, weil das einfach von der Bezahlung natürlich auch meistens besser ist, habe „My Fair Lady“ gemacht, dort den Higgins gespielt und dann viele eigene Projekte gemacht, wo ich Dinge ausprobiert und auch viele Stücke selbst entwickelt habe, wie zuletzt dann auch mit Thomas Hupfer den „Lenz“ hier in Feuchtwangen. 
Das gehört so in die Reihe und war auch etwas prägendes, wo man ein Experiment gemacht hat und gesagt hat, wir machen aus einer Novelle, die überhaupt nicht theatralisch ist, Theater. 
Das geht natürlich absolut auf die Kappe von Thomas Hupfer, weil er einfach eine tolle Fassung gemacht und tolle Fantasie hatte, wie man das im Theater umsetzt, wo aber das besondere war, wie man das für Jugendliche aufbereitet, sodass die dieses schwere Thema packen, und gleichzeitig es so viel Raum eröffnet, dass man das dann eben in Köln, in einer Großstadt, wo einfach auch viel Theater und auch viel gutes Theater geboten wird, im Abendspielplan für Erwachsene spielt. Das wussten wir lange nicht, ob das geht. Und irgendwie ist es uns gelungen, und das ist in Köln im Moment auch ein bisschen der Renner, das ist der Geheimtipp unter den kleineren Produktionen, ist jetzt für den Theaterpreis nominiert und das ist auch für mich so eine Rolle, von der ich nie gedacht habe, dass sie so wesentlich für mich wird. 
Und dann natürlich wenn man jetzt hier bei Feuchtwangen landet, der Brandner Kasper. Vorher hatte ich ja „Du bist meine Mutter“ gemacht, wo ich auch diese 80-jährige, noch dazu Frau, spiele, aber das ist doch etwas anderes, weil da immer dieser Sohn dahinter ist, der sich in sie verwandelt. Das ist nicht eine hundertprozentige Identifikation. Das war beim Brandner Kaspar hingegen der Fall, dann natürlich auch in der Schnelle, weil ich erst sehr spät, etwa 16 Tage vor der Premiere, angefangen habe, mich mit der Rolle zu beschäftigen. Das war einfach auch sehr spannend und sehr besonders, einen 75-jährigen Mann zu spielen, und auch einigermaßen glaubhaft zu spielen, natürlich um den Preis, dass mich hier in Feuchtwangen nie irgendjemand erkannt hat. Wo alle anderen Schauspieler begrüßt werden, wurde ich nicht begrüßt. Aber das war auch natürlich eine ganz wichtige Arbeit für mich. 


 Mein Eindruck ist, dass man Leidenschaft für das Theater braucht, um dauerhaft Schauspieler zu sein. Wie erhält man sich 30 Jahre lang diese Leidenschaft fürs Theater?

Ach, ich glaub das ist ´ne Typfrage. Das weiß man irgendwann und dann ist es das auch. Das heißt nicht, dass man nicht zwischendurch mal darüber nachdenkt, vielleicht auch mal etwas anderes zu machen, solche Phasen gibt’s auf jeden Fall. Aber ich hatte einfach viel Glück, dass ich es ausgekostet habe, wirklich nur Schauspieler zu sein, aber auch genau den Punkt erwischt habe, wo bei mir der Frust eingesetzt hätte, hätte ich noch ein festes Engagement, ich glaube egal wo, weiter gemacht. Da war der Punkt, wo ich klar wusste: Jetzt muss etwas anderes passieren. Jetzt kann ich nicht nochmal in ein festes Engagement gehen, am schwarzen Brett erfahren, welche Rolle ich spiele, nach einer Zeit sicher dann auch mit der Leitung mal darüber reden, was ich gerne spielen würde, aber es trotzdem eben nicht selber entscheiden zu können. 
Und auch immer nur zu spielen. Ich hatte bis dahin bestimmt 80, 90 Rollen gespielt und dachte, das kann man schon immer so weitermachen, aber ich glaube, da gibt’s schon noch etwas. Dann habe ich mich eben selbstständig gemacht. Bei vielen anderen passiert es, dass es erst einmal nicht so funktioniert und man sich dann zumindest zeitweise anders orientiert, wo ich natürlich auch ein bisschen in die Richtung Film geguckt habe. Aber auch schnell wieder mit meinen Erfahrungen wusste: Nee, das ist nicht meine Welt. Es ist zwar spannend, auch die Kameraarbeit, aber bis man da zu irgendetwas kommt, was dann wieder Substanz hat, ist das jahrelanger Aufbau, wo man sich dann nur darum kümmern muss und sich dafür freihalten muss. Da war mir schnell klar: 
Das will ich nicht, sondern ich will schon dieses Live-Erlebnis haben und auch einfach Dinge machen. Dann habe ich angefangen, meine eigenen Produktionen zu machen. Was mich auch vorher immer ein bisschen geärgert hat, weil ich ja auch aus der Musik komme, war, dass man außer Musical zu machen, mit den guten Orchestern, mit den Opernsängern eigentlich nie zusammenkommt, es im Stadttheater eigentlich nicht möglich ist, dass die Sparten sich vermischen, dass man da neue Dinge ausprobieren kann. Es gibt den Schauspiel-Spielplan, den Opernspielplan und das hat manchmal auch viel mit Frust zu tun, dass man Möglichkeiten sieht, die aber die Strukturen nicht zulassen. 
Klar hatte ich dann erst einmal als selbstständiger Schauspieler, der anfängt, eigene Produktionen auf die Beine zu stellen, nicht die Möglichkeit, mir gute Leute aus dem Opernbereich zu engagieren, um solche Sachen gleich auszuprobieren, aber ich habe erst einmal mit Schauspiel klein angefangen. Aber dann eben Stücke, die ich machen wollte, habe mir Kollegen gesucht, mit denen ich dann auch ohne Regisseur gearbeitet habe, sondern ich oder wir das zusammen gemacht haben, mit Zwei-Personen-Stücken, wo das dann auch geht, wenn man dafür richtig besetzt ist. Das hat dem Ganzen wieder ganz neue Energie gegeben.
Tanz hat mich zum Beispiel immer interessiert, das war, glaube ich, mein allererster Berufswunsch als Dreijähriger, wo ich vor dem Fernseher mit dem Fernsehballett getanzt habe und ein Tänzer werden wollte, auch schon ganz ernst, sagen meine Eltern immer. Aber dann kamen die Domspatzen und dann war es dann auch das Singen und die Musik, aber der Tanz hat mich nie so richtig losgelassen als Faszination, vor allem der zeitgenössische Tanz. Gar nicht so sehr das Ballett, was ich dann im Stadttheater um mich hatte, sondern schon eher, wie man mit dem Körper umgeht, wie man damit etwas zeitgenössisches ausdrückt, etwas anderes als die klassischen Geschichten. 
Dann hab ich bald selber angefangen, mit zwei Choreographen zu arbeiten. Einer davon ist der Emanuele Soavi, mit dem ich hier dann auch „Wickie“ gemacht habe, dadurch ist er zu den Kreuzgangspielen gekommen und choreographiert jetzt hier immer die Musicals. 
Wir haben in Köln ein Ensemble aufgebaut, wo wir jetzt mittlerweile mindestens 20 Tanzproduktionen gemacht haben und dann da auch versucht haben, Schauspiel und Tanz zu verschränken und unsere Experimente gemacht haben. Das hat für mich dann die Möglichkeit gegeben, eben nicht irgendwann zu sagen „Oh, jetzt langweilt mich es auch immer, eine Rolle nach der anderen zu spielen und deswegen muss ich mir etwas anderes suchen als das Theater“, sondern ich konnte eben genau in dem Feld neue Dinge ausprobieren und neue Wege gehen. Klar, Produzieren ist etwas neues, da ist viel Bürokratie mit verbunden, Anträge und Abrechnungen schreiben. Ich bin auch jetzt nicht mehr 100% auf oder neben der Bühne, sondern ich bin schon die Hälfte meiner Zeit mit Organisation beschäftigt und neue Konzepte zu schreiben, was ja auch wieder etwas Kreatives ist, aber eben etwas anderes ist als auf der Bühne zu stehen. 
Nachdem ich mich selbstständig gemacht und angefangen habe, auch zu inszenieren, habe ich über meine Stadttheaterkontakte geschaut, welcher Intendant bereit wäre, mir eine Inszenierung anzubieten. Ziemlich bald hat mich Johannes Kaetzler 2010 für „Wickie“ engagiert und so kam das dann Stück für Stück, dass ich immer wieder auch inszeniere. Das hat auch nochmal eine ganz neue Perspektive auf den Beruf gegeben, weil ich natürlich viel Erfahrung auf der Bühne habe und weiß, wie man sich bei der Probe und den Vorstellungen fühlt. All das zusammen, diese Vielgestaltigkeit, hat mir die Energie und den Spaß an dem ganzen sehr erhalten und auch die Möglichkeit, so viele Netzwerke zu haben, dass man immer wieder mal von einem ins andere springen darf, dann spielt man wieder mal und dann inszeniert man wieder mal und dann macht man mal ein ganz eigenes, vielleicht auch ein bisschen verrücktes, schräges Projekt.

Das hab ihr ja dann unter movingtheatre.de gemacht.

Genau. Und dann mit der Emanuele Soavi in Company. Das war die Folge daraus, dass wir gesagt haben: Emanuele ist einfach auch so gut geworden und hat auch große Choreographenengagements an großen Stadttheatern bekommen, er braucht sein Label mit seinem Namen. Dann haben wir das eben dahin überführt, quasi die Tanzabteilung. 

Du hast ja schon erwähnt, du bist durch den Intendanten Johannes Kaetzler mit "Wickie" zu den Kreuzgangspielen Feuchtwangen gekommen. Wie kam es dazu, dass du immer wieder herkommst? Du hast ja nicht nur Regie gemacht, sondern auch den Brandner Kaspar und den Monsieur Purgon vor zwei Jahren gespielt. Was gefällt dir hier an Feuchtwangen?

Wickie war meine erste Regie hier, ein Kindermusical, das ist ziemlich erfolgreich gewesen. Nunja, wie soll ich sagen, die Verbindung mit dem Johannes Kaetzler ist einfach eine ganz besondere, glaube ich, gegenseitig, wo wir uns auch verhältnismäßig früh versichert haben, als er die Intendanz hier angetreten hat, dass er es gerne hätte, wenn ich hier kontinuierlich bin. Als Schauspieler hat er damals ein einziges Mal gefragt und da habe ich ihm sofort gesagt, dass ich im Moment so mit meinen eigenen Sachen beschäftigt bin, dass ich es mir nicht vorstellen kann, dreieinhalb Monate hier und wirklich hier zu sein. Denn geht ja nicht eine Vorstellung woanders zu machen, weil man jeden Abend spielt, außer Montag, wo man aber auch nirgendwo anders seine Stücke spielen kann.
Das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht, das war alles im Aufbau und im Größerwerden begriffen, das ich nicht dreieinhalb Monate  absagen konnte, wenn jemand eine Produktion von mir einkauft. Das war einfach ein zu langer Zeitraum. Dann kam, so wie es hier eben üblich ist, dass man unter Umständen alle drei Jahre als Regisseur wiederkommt, der „Sommernachtstraum“ drei Jahre später, 2013, die erste große Inszenierung.
In dem Jahr hab ich auch zum ersten Mal eine Eigenproduktion von mir hierher gebracht, „Robinson und Crusoe“ im Nixelgarten, die auch wirklich eine Eigenproduktion war. Feuchtwangen wollte koproduzieren, als ich Johannes Kaetzler davon erzählt hatte, aber die Idee für das Stück mit einem deutschen und einem polnischen Schauspieler kam von mir.
In dem Sommer war ich dann neun Wochen hier und habe dadurch auch mehr von dem ganzen Spielzeitalltag mitbekommen, und habe gedacht: Ach, ein Jahr mal etwas spielen, das wäre doch schön. Die Spielzeit darauf, 2014, ging schon nicht mehr, weil ich da schon woanders Vorstellungen gebucht hatte. Dann waren die Kreuzgangspiele 2015 und just in der Spielzeit gab´s keine richtige Rolle für mich, das passte im „Eingebildeten Kranken“ und auch im „Brandner Kaspar“ nicht so wirklich. Trotzdem war das bei mir ein Zeitpunkt, an dem ich dachte: Ach, jetzt hab ich zwölf Jahre mein Ding in Köln aufgebaut und nie so wirklich Urlaub gemacht, jetzt hab ich es mir freigeschaufelt und gehe jetzt einfach mal dreieinhalb Monate mit nicht so großen Rollen nach Feuchtwangen und erhole mich auch ein bisschen dabei. Das hat ja auch diesen Erholungsfaktor, wenn man Jahr ein, Jahr aus in einer Großstadt rumrödelt, das ist natürlich einfach was anderes. Und wenn die Vorstellungen laufen, hat man einfach viel Zeit, hab ich mir so ausgemalt, und mir gedacht, das leiste ich mir jetzt ein Jahr. Dadurch bin ich 2015 hierher gekommen, dann war das aber natürlich nicht so. Nach drei Wochen war die Freizeit schon beendet und dann musste ich Tag und Nacht rödeln, damit der Brandner Kaspar was wird. 

Da hat ja Arthur Brauss zwei Wochen vor der Premiere die Rolle abgegeben.

Genau. Nachdem der einfach so gut lief, kam ich natürlich auch erst einmal nicht mehr aus der Sache raus, sondern dann war schon die Frage, wann ich wiederkommen möchte. 2016 ging bei mir gar nicht, aber dann eben 2017. Da dann aber von vornherein klar auch über Rollen zu sprechen und mit zwei Jahren Vorbereitung kam dann 2017 zustande. Nächstes Jahr inszeniere ich dann wieder. So sind die Dinge momentan. Letztendlich 2016 war ich ja dann doch da, nämlich mit „Lenz“, wieder eine Eigenproduktion, die aber eine richtige Koproduktion mit Feuchtwangen war, die Idee auch aus Feuchtwangen von Thomas Hupfer kam und und ich dann mit meinem movingtheatre.de eingestiegen bin. 


Nächstes Jahr spielt ihr ja „Kafka“ hier, hast du ja schon erwähnt, kannst du da schon was verraten, worauf man sich als Zuschauer freuen darf? 

Naja natürlich auf Thomas Hupfer und mich. Hoff ich doch. 

Also ich freu mich da darauf. 

Ja, wir auch. Wenn etwas gut läuft oder etwas gut war, dann kriegt man natürlich da auch erst einmal Vorschusslorbeeren. Thomas und ich haben nach „Lenz“ gesagt, wir würden eigentlich gerne ein Folgeprojekt machen, auch in dieser Kombi, weil das ganz spannend ist, erstmal auch einen schweren Stoff mit so einem „Jugendlichenblick“ zu bearbeiten, also einfach zu wissen, die erste Zielgruppe sind Jugendliche. 
Das hilft einem manchmal ganz viel, weil man dadurch die oft zu erwachsene Kopfarbeit und das „Zuviel reinpacken wollen“ erst einmal hinten anstellt und auch bei so einem schweren, eher fast depressiven Thema und Charakter, danach guckt, was denn junge Menschen daran interessieren kann. Dadurch kommt man natürlich auch auf eine gewisse Frische.
Da haben wir so gute Erfahrungen gemacht, dass wir beide gesagt haben: Lass uns irgendwie da ein Folgeprojekt machen, vielleicht, damit das auch eine Konsequenz hat, mit einem Schriftsteller, wo man eine Doppelung zwischen interessanter Biographie und gleichzeitig einem Werk hat, das man auch in das Stück mit einfließen lassen kann. Wir sind dann beide sofort ohne irgendeine andere Figur zu diskutieren auf Kafka gekommen. 
Dann haben wir das hier vorgeschlagen und es war sofort klar, dass wir das bei den Kreuzgangspielen machen dürfen. Sehr viel mehr kann ich jetzt noch nicht sagen, ich kann natürlich mutmaßen. Wir treffen uns immer wieder mal und lesen gerade ganz viel und tauschen uns aus, aber wir sind jetzt mittlerweile auch so ein eingespieltes Team, dass wir auch ganz viel ausprobieren, bis wir wissen: Das ist die Richtung. Wir setzen uns jetzt nicht hin, schreiben ein Stück und dann proben wir, sondern das ist ein Prozess. Bei „Lenz“ war ja durch die Novelle von Georg Büchner ja schon ein ganzes Stück eingegrenzt, auf was man sich da fokussiert. Aber bei so einer komplizierten Persönlichkeit wie Kafka haben wir das jetzt überhaupt nicht, sondern wir haben hier eine Biographie von einem Menschen, der nur 40 Jahre alt wurde. Trotzdem gibt es noch keinen Fokus, aber da gibt es natürlich Themen. 
Was ich bei Kafka ganz spannend finde und was auch eine Relevanz heutzutage für mich auch nach wie vor hat, ist die Angstbesessenheit von Kafka, woraus dann auch sein Werk resultiert hat. Diese teilweise sehr dichten Erzählungen, die keinen Seitenstrang haben, sondern fast eine manische Stringenz in sich tragen und alle von einer übermächtigen  Welt erzählen, die man am Anfang nicht glaubt, erobern zu können, sich als Mensch nicht darin zurecht zu finden, sondern mit Angst auf alles zu reagieren, was einem gefährlich werden oder womit man nicht zurecht kommen könnte. 
Die ganze politische Bewegung  im Moment, der Populismus,  hat ja auch einfach viel mit Ängsten zu tun. „Was wird sein? Müssen wir uns nicht wieder ein bisschen mehr einschließen und auf uns konzentrieren? Die ganze Globalisierung, zuviele Einflüsse...“
Das ist, was an dieser Figur Kafka total spannend ist, was sich in seinem Werk wiederfindet und was dann sicher auch irgendeine Relevanz in unserem Stück  haben wird, aber das ist nur eine Mutmaßung. Im Moment, aus der Recherche heraus, die immer noch am Anfang ist, wollen wir auf jeden Fall einen sehr theatralischen, spielfreudigen Abend. Wir wollen auch beide auf der Bühne stehen und uns da auch eine spielerische Herausforderung bauen. Ich hoffe, dass es sehr theatralisch, sehr lustvoll wird. 


Was hast du jetzt noch für die Zeit nach den Kreuzgangspielen, für Herbst und Winter an Stücken geplant, wo du auch auf der Bühne stehst?

Jetzt gibt es erstmal nichts, wo ich auf der Bühne stehe. Ich habe sieben Stücke im Repertoire, die ich auch im Lauf des Jahres an einzelnen Vorstellung da und dort, deutschlandweit, spiele.
Jetzt war viel Spiel, jetzt ist erst einmal wieder Ruhe, auch nach den zwei Rollen hier, die ja beide schon aufwendig genug waren. Natürlich ist da mit „Kafka“ das spielerische Element, aber gleichzeitig auch mit Thomas zusammen Autor zu sein.
Ansonsten bereite ich meine Regien vor, und habe mit Emanuele Soavi zusammen zwei große Tanzproduktionen, eine hat jetzt in Köln angefangen, wo ich dann,  sobald ich hier fertig bin, hin fahre und weiterarbeite. Eine ganz große Produktion mit dem Duisburger Philharmonikern, die dann auch in der Oper Köln gezeigt wird, also wirklich ein großes Projekt, das wir aber auch komplett allein produzieren.
Damit bin ich jetzt im Herbst beschäftigt. 
Dann die „Wie im Himmel“ Inszenierung, da eine gute Fassung zu machen und das alles vorzubereiten, kommt dann auch dazu. Anfang Mai ist so schnell da, das glaubt man gar nicht. Außerdem habe ich noch ein großes Projekt mit einem bekannten Filmregisseur vor, der sein erstes Theaterstück geschrieben hat und das ich gerade vorbereite, zu produzieren und zu inszenieren, teilweise auch mit bekannten Schauspielern. Das ist das nächste ganz große Projekt für 2018.