[Interview] Julian Niedermeier

Heute gibt es das zweite Interview in meiner neuen Blog-Kategorie. 

Julian Niedermeier spielt momentan am Landestheater Dinkelsbühl und ist dort noch bis Mitte August festes Ensemblemitglied. 
Zurzeit spielt er in "Ronja Räubertochter", "Der kleine Horrorladen" und "Die Comedian Harmonists" mit. Ein Besuch am Landestheater Dinkelsbühl lohnt sich - aber schnell sein, Mitte August ist die Freilichtsaison zu Ende! 



Wie bist du zum Theater gekommen? Gab es ein besonderes Ereignis, an dem du gemerkt hast, dass du Schauspieler werden willst?
Zum Theater bin ich eher durch Zufall gekommen. Ich hatte früher oft den Gedanken in Filmen mitzuspielen die mein eigenes Leben widerspiegeln, was schließlich in der für mich damals absurden Idee mündete, an einer Schauspielschule vorzusprechen. Ich hab dann da vorgesprochen und wurde glatt genommen, was insofern nicht sehr verwunderlich ist, dass es eine private Schauspielschule war und die jeden nehmen, der genug Geld hat. Kurz, ich hatte keine Ahnung auf was ich mich da einlasse, aber es war eine der besten Entscheidungen die ich je getroffen habe.



Als Schauspieler bleibt man eigentlich recht selten lange an einem Theater. Wie gehst du mit dem häufigen Wohnortwechsel um?
Das stimmt und das ist eines der größten Probleme in diesem Beruf. Ich habe für mich beschlossen, mir dennoch so etwas wie ein Lager aufzuschlagen mit meiner Freundin. Ein Zuhause, wo man immer wieder zurückkehren kann. Vor allem wenn ich mal freischaffend bin, ist es wichtig immer ein Zuhause zu haben.Wo das sein wird, kann ich jetzt allerdings noch nicht genau sagen, vielleicht Regensburg, vielleicht Landshut, das wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls aber Bayern.

Hast du im Bereich Theater Vorbilder und Idole? Wenn ja, wen und was findest du an ihm oder ihr inspirierend?
Ich habe zwar Idole, aber eher Filmschauspieler. Wobei diese natürlich auch immer mal wieder an Bühnen zu sehen sind. Einige davon: Benedict Cumberbatch, Ben Kingsley, Johnny Depp, oder Legenden wie Al Pacino, oder Ian McKellen. Im deutschsprachigen Raum gibt es ehrlich gesagt wenige Schauspieler, die ich interessant finde. Interessant finde ich eigentlich immer, wenn Schauspieler alles geben und sämtliche Kollegen mit ungeplanten Sachen überraschen. Auf YouTube gibt es Videos von ungeplanten Aktionen, die es dennoch in den Film geschafft haben, das kann ich sehr empfehlen! Ungeschlagen für mich Leonardo DiCaprio, der im Film "Django Unchained" ein echtes Glas mit der Handfläche zerschlägt. (Da fällt mir ein: Christoph Waltz ist für mich der beste deutsche Schauspieler). Es lohnt sich, sich mit solchen Sachen zu beschäftigen.

Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Rollen aus bzw. nimmst du Rollenangebote an?
Das gibt es ehrlich gesagt am Theater nicht mehr. Der Markt ist so überfüllt, dass du als Schauspieler froh bist, wenn du überhaupt etwas bekommst. Aber wenn ich sie mir aussuchen könnte, würde ich zu verrückten, "abgefuckten" Rollen tendieren. Es macht mehr Spaß den Mörder zu spielen als den Romeo. Das Menschliche im Monster zu finden, es sogar zu verstehen und die Taten eines Massenmörders nachvollziehen zu können ist deutlich spannender als einfach zu sagen du liebst die und Ende. Grundsätzlich liebe ich Rollen, die einem viel Spielraum für eigene Interpretation lassen. Wobei man sagen muss, den muss man sich als Schauspieler manchmal auch einfach nehmen.

Auf welcher Bühne würdest du gerne einmal stehen? Gibt es Schauspieler/innen, mit denen du unbedingt einmal zusammenarbeiten möchtest?
Eine der Bühnen für mich war immer das Landestheater Niederbayern in Landshut, da ich dort mein erstes Stück gesehen habe und es Passau bespielt, die Stadt, wo meine Mutter wohnt und ich jahrelang gewohnt habe. Tatsächlich wird mir diese auch ab September zu teil, da ich ab dem 7.9. dort das Ensemble verstärken werde. Und ein Schauspieler, mit dem ich unbedingt mal zusammen spielen will, wäre mein ehemaliger Lehrer Jan Hinnerk-Arnke. Das wäre mir eine große Ehre.

Dinkelsbühl ist ja im Vergleich zu anderen Theaterstädten recht klein. Wie unterscheidet sich ein kleines Theater wie Dinkelsbühl von einem großen Theater? Was schätzt du an Dinkelsbühl und dem Landestheater besonders?
In erster Linie selbstverständlich in den Möglichkeiten. Ein kleines Haus wie hier in Dinkelsbühl ist natürlich auf viel mehr Dinge angewiesen als größere, weit renommiertere Häuser. Hier steht oft nicht Qualität sondern Quantität im Vordergrund und das ist ein offenes Geheimnis, das niemand wirklich abstreitet. Es gibt wenig Geld, viel zu wenig Angestellte und viel zu wenig Zeit. Es fehlen ja ganze, eigentlich unverzichtbare Positionen wie Maske, Kostümbildner/in, Lichttechniker, Bühnenbildner, oder Inspizient. Das wäre so als würdest du ein Restaurant ohne Bedienungen eröffnen. Dafür ist es aber unheimlich familiär und kollegial und das macht einiges wieder wett. Ich werde die Zeit hier nie vergessen und bin dankbar dafür. Am meisten schätze ich in Dinkelsbühl all die Kräfte, die viel mehr machen als sie eigentlich müssten, damit das Haus überhaupt existieren kann. Allen voran die hiesigen Regieassistentinnen. Gleich danach unser Techniker der einen Job von drei, vier, oder mehr Leuten leisten muss. Und selbstverständlich auch all die Schauspiel/Musical-Kollegen die in der Probenzeit innerhalb kürzester Zeit, trotz oft mangelnder Szenen- oder Rollenarbeit alles geben und sich quasi selbst inszenieren.

Du spielst neben den Erwachsenenstücken im Sommer ja auch im Kinderstück mit. Wie unterscheiden sich Kinder als Publikum von Erwachsenen?
Kinder sind ehrlich. Neulich meinte ein Kind: "Ich finde es doof, dass der Birk (meine Rolle) so viel schwitzt!". Nachteil bei Kindern ist allerdings, dass du alles etwas überspitzen musst, damit sie dranbleiben. Zu viele ernste Töne langweilen sie schnell und dann hast du verloren. Jetzt wo ich das so schreibe merke ich allerdings, dass das auch bei vielen Erwachsenen in Dinkelsbühl der Fall ist. 😃

In "Der kleine Horrorladen"  spielst du ja zum Beispiel mehrere Nebenrollen, in "Die Leiden des jungen Werther" hast du die Hauptrolle gespielt. Spielst du lieber mehrere Nebenrollen oder eine große Hauptrolle?
Selbstverständlich ist es schöner, eine Hauptrolle zu spielen. Alles andere wäre aus meiner Sicht gelogen. Es heißt zwar immer, es gibt keine kleinen oder unwichtigen Rollen, aber eine solch große Rolle wie den Werther zu erforschen und mit ihr herumzuprobieren, macht allein im Probenprozess natürlich schon tausendmal mehr Spaß, als ein Zeitungsbote in "Comedian Harmonists", oder, um beim Beispiel zu bleiben, einen Kunden in "Der kleine Horrorladen". Dennoch sollte ich anfügen, dass man auch in kleinen Rollen glänzen kann und wir alle hier das natürlich stets versuchen. Tatsächlich, muss ich zugeben, ist mein Ehrgeiz mit der Zeit gewachsen: Umso kleiner die Rolle, desto dringlicher will ich hervorstechen.

In deiner Zeit hier in Dinkelsbühl hast du viele verschiedene Rollen in vielen verschiedenen Stücken gespielt. Welche bleiben dir davon besonders in Erinnerung - positiv wie negativ?
Meine absolute Lieblingsrolle wird der Werther bleiben, weil die Erarbeitung mit den Kollegen, sowie Regie und auch Assistenz einfach am meisten Spaß gemacht hat. Überhaupt finde ich die Inszenierung unheimlich gut gelungen und wie eben erwähnt konnte ich mich in der Rolle unheimlich gut selbst entdecken, viel von mir selbst spiegelt sich in dieser Rolle wieder und wir hatten insgesamt ungewähnlich viel Freiraum für DKB-Verhältnisse. Auch den Matto aus "La Strada" werde ich so schnell nicht vergessen. Es gibt natürlich viele Rollen, die positiv in Erinnerung bleiben, aber diese beiden sind wohl die Spitzenreiter. Obwohl, Michel aus Gott des Gemetzels ist auch sehr weit oben - wie gesagt ist sehr schwer.
Negativ muss ich sämtliche Rollen in "Der Steppenwolf" angeben, weil es für mich eine Qual war, dieses Stück zu spielen, ebenso der Claude in "Der Vorname". Beide Stücke ergaben für mich von der Inszenierung einfach überhaupt keinen Sinn und das ist dann insgesamt immer ein bisschen schwieriger.

Das Theater lebt vom Augenblick und manchmal passieren auf der Bühne auch Pannen. Hast du eine Lieblingspanne?
Ohje. 😃
Es gab so viele Pannen, das würde jetzt den Rahmen sprengen. Ich hatte Kollegen, die vor Lachen aufgehört haben zu sprechen und sich nur noch umgedreht haben, so dass ich für sie weitersprechen musste, ich hatte selbst tausende Lachflashs, es gab Stürze, zerstörte Requisiten. Unmöglich, da einen Favoriten zu finden.

Spielst du lieber schwierige, tiefgehende Stücke oder lustige, "leichte" Stücke?
Das kommt auf die Inszenierung an. Schwierige, tiefgehende Stücke laufen Gefahr, nicht vollständig durchdacht oder anders verstanden zu werden, was einen als Schauspieler in den Wahnsinn treiben kann. Es gibt nichts Schlimmeres als Spielleiter, die offensichtlich eine andere Meinung, oder erst gar keine Ahnung haben. Die Gefahr ist bei lustigen Stücken nicht so häufig vorhanden, dafür können sie schnell platt inszeniert werden und alles wird clownesk aufgeführt. Beides kann also sehr anstrengend werden. Hat man aber ein gutes Konzept und einen guten Regisseur, kann man mit tiefgehenden Stücken viel bewegen, bedenken wir Falk Richter, dessen Stück "Fear" gefühlt eine ganze Partei ins Wanken brachte.
Lustige Stücke hingegen können unheimlich viel Spaß machen und Spaß auf der Bühne ist für mich mehr wert als alles andere. Ohne Spaß läuft gar nichts. Ich bezweifle, dass ein Schauspieler vollständig glaubwürdig sein kann, wenn er keinerlei Spaß hat.

Bist du abergläubisch? Hast du bestimmte Rituale, bevor die Bühne betrittst?
Nein, ich bin nicht abergläubisch. Und wirkliche Rituale habe ich eigentlich auch nicht. Es hilft natürlich immer kurz vorm Auftritt sich nochmal zu konzentrieren, aber manchmal habe ich auch das Gefühl, dass die Rolle lockerer und somit wahrhaftiger werden kann, wenn man auf die Bühne stolpert. Ich versuche mich generell immer wieder neu zu erfinden, auch nach der Premiere, erst recht nach der Premiere. Für mich gilt: Wer nur noch das abliefert, was inszeniert wurde, hört auf zu spielen und das Stück stirbt.

Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus? Wo kann man dich nach August auf der Bühne sehen?
Wie oben erwähnt werde ich ab September für vorerst ein Jahr am Landestheater Niederbayern in Landshut bzw. Straubing und Passau zu sehen sein. Ob ich dort länger bleibe, entscheidet sich im Oktober.

Du darfst dir eine Rolle aussuchen, egal ob männlich oder weiblich, egal welches Theaterstück. Welche wählst du?
Das ist eine sehr schwierige Frage und eigentlich möchte ich mich da auch nicht festlegen, zumindest nicht jetzt. Es gibt so viele Rollen, die ich noch probieren möchte. In erster Linie ist allerdings egal, was ich spiele, denn - auch wenn du nicht danach gefragt hast - ich habe für mich gelernt, diesen Beruf nicht zu ernst zu nehmen. Wir sind nichts weiter als ein paar Menschen, die so tun als wären sie andere Menschen, um den Menschen zu zeigen wie Menschen sein können. Absurd, oder? Nein im Ernst, für mich ist wichtig, mit dem Beruf glücklich zu werden und nicht durch den Beruf. Ich werde mich diesem Job nicht unterwerfen und völlig hingeben, ich hoffe darauf, dass sich der Job irgendwann mir unterwirft.



Abschließend möchte ich mich noch bei Julian bedanken, dass er sich Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten. 
Vielen, vielen Dank. Ich wünsche dir viel Erfolg und Glück für deine Zeit am Landestheater Niederbayern! Und ich hoffe, dass du vielleicht irgendwann mal wieder eine Rolle hier in Dinkelsbühl spielst.